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Eine andere Welt

"Warum reizt es dich, nach Marokko zu fahren?" werde ich oft gefragt. Nun, es ist sehr einfach. Ich habe festgestellt, dass ich von unseren Freunden sehr viel lernen kann. Ich war seit 2017 drei Mal. Meine Erlebnisse mit den Menschen und ihrer Kultur berühren mich so sehr, dass daraus ein interkulturelles Ausstellungsprojekt entsteht. Dazu finden Sie hier mehr Informationen.

Ein paar Episoden sprechen mehr als tausend Erklärungen zu meiner Begeisterung...



 

Ein marokkanischer Freund fragt mich im Video-Telefonat, wie das Wetter bei uns ist. Ich stöhne und sage, es sein ganz schlecht, es sei kalt und es würde seit Wochen regnen. Sein Gesicht leuchtet auf vor Freunde und er ruft quer durch das Café, indem er sitzt, dass es in Deutschland regne. Er erklärt mir, dass die Landwirte in seiner Region seit Wochen auf Regen warten, dass die Reservoirs sich dem Ende zuneigen und dass es vor ein paar Jahren eine sehr schlimme Dürre gab. Man habe Angst, dass es sich wiederholt und dass menschen hungern werden. Mir wird klar, welch großes Glück ich habe, durch Zufall in einem regenreichen Land zu wohnen.



 

Wir besteigen ein Flugzeug und fliegen nach Marokko. Bei der Einreise bekommen wir problemlos ein Touristenvisum und gleichzeitig weiß ich, dass einige Freunde, die ich dort treffen werde, kein Visum für Deutschland bekommen würden. Das Wissen um diese Ungleichheit bereitet mir ein unangenehmes Gefühl, denn ich habe rein gar nichts dafür getan, einen deutschen Reisepass zu besitzen. Ich habe ihn. Einfach so.



 

In der Sahara fällt es mir schwer, eine Düne hoch zu laufen. Je mehr ich mich anstrenge, und je schnellere Schritte ich mache, desto mehr Sand gleitet unter meinen Füßen weg. Ich schaue zur Seite und beobachte einen Einheimischen neben mir. Er geht sehr entspannt und seine Füße fest und langsam auf den Sand. Er ist schnell oben und gar nicht aus der Puste. Ich versuche es wie er: Schritt für Schritt und immer mit der Ruhe. Ja, so klappt das großartig und ich werde mir das als Metapher merken.



 

Einige Amazigh (Ureinwohner) sind sesshaft, andere leben als Nomaden in Zelten oder Höhlen. Wir besuchen einen Familie, die zur Zeit in vier nebeneinander liegenden Höhlen wohnt: Küche, Wohnen und Schlafen, Lager, Tierstall. Die Höhlen sind niedrig, wir können nicht aufrecht darin stehen. Es gibt ein Solarpanel, ca. 15x15 cm , dass eine Glühbirne und ein Radio betreibt. Wir werden zum marokkanischen Minztee eingeladen und spüren die tiefe Zufriedenheit und Gelassenheit unserer Gastgeber. Wir erfahren, dass die Familie weiter ziehen wird, wenn die Tiere hier kein Futter mehr finden. Sie werden in eine andere freie Höhle ziehen, denn die Höhlen gehören allen Menschen, so wie auch das Land allen gehört. Wir werden sehr still und demütig, wir denken kurz an zu Hause und erleben dann intensiv den Augenblick.



 

 "God bless you" schreibt ein Freund immer zum Abschied und es berührt mich jedes mal aufs Neue.




Wir haben viel gelesen bevor wir das ersten Mal nach Marokko gefahren sind. Dabei erfuhren wir oft, dass Touristen auf angemessene Kleidung achten mögen und wir befolgten diesen Rat als Benimm-Regel im fremden Land, zuerst ohne sie zu verstehen. In der sengenden Sonne und mit dem Wissen um den dreitägigen Sandsturm der voran gegangenen Woche, erschließt sich der Sinn sehr schnell, Kopf und Körper zu bedecken. Es fühlt sich für mich nicht nach Unterdrückung an. "Andere Länder, andere Sitten" lautet das Stichwort. Ich beginne zu verstehen, dass wir nicht mit europäischem Maßstab messen können. Ich bin in einer anderen Welt und es steht mir nicht zu, "richtig" und "falsch" zu beurteilen.




Frauen. Das Frauenbild ist ein ganz besonders sensibles Thema, an das ich mich vorsichtig heran taste. Ich fühle mich in Marokko zu jeder Zeit respektvoll behandelt, so viel steht fest. Auch wenn Händler auf dem Markt hinter mir herrufen, tun sie es auf eine sympathische Art. Ich empfinde Aufforderungscharakter, aber ich empfinde es nicht als aufdringlich. Ich reagiere darauf fröhlich und gehe gleichmäßig weiter. Ein Bekannter hat eine einfache Erklärung für meine positiven Erfahrungen: "Naja, es wird daran liegen, dass du den Menschen doch auch positiv gegenüber trittst.". "Stimmt", denke ich, "wie man in den Wald hineinruft...". Und ich erfahre von marokkanischen Freunden, dass die Rolle der Mutter ein ganz besonders großes Ansehen genießt. Sie hat uns 9 Monate ausgetragen, sie hat auf uns aufgepasst und sie weiß, was das Beste für uns ist. Ich bin tief beeindruckt. Ich frage einen Freund, was er davon hält, wenn Frauen respektlos behandelt werden und er antwortet sehr klar: Gott weiß, dass Frauen empfindsam sind und dass man sie deshalb beschützen muss. Wer das nicht tut, verhält sich falsch. Punkt.




Die Sprachen, die in Marokko gesprochen werden sind so bunt wie das Aussehen der Marokkaner. Es gibt verschiedene Amazigh-Dialekte, marokkanisches  Arabisch, Französisch und nicht jeder versteht jeden. Und ich kann nur Deutsch und Englisch. Das macht aber nichts, denn Augen können auch miteinander sprechen. Konkrete Absprache sind natürlich schwierig, aber Respekt, Symathie und Gemeinschaftsgefühl können Augen viel besser kommunizieren als Worte. Das kann für ein beeindruckendes Erlebnis auch von Vorteil sein.